Am Anfang stellt sich die Frage, warum ich nicht eher auf diesen Artikel von Andrea Kamphuis gestoßen bin.
Schließlich ist es ein Plädoyer für eine qualitative Methode, die dem Ethnologen so eigen ist, wie dem Fisch das Wasser. Jedenfalls in der Art und Weise. Denn Netnographie führt noch ein Nischendasein, wenn man es genau nimmt. Doch die Herangehensweise ist der Ethnographie und der teilnehmenden Beobachtung mehr als nur ähnlich.

Die heutige Technik macht es möglich: die Beobachtung der Zielgruppe vom Schreibtisch aus. Bequem mit der Kaffeetasse in der Hand, die Zielgruppe beobachtend, auch wenn es draußen regnen sollte. Und das zu jeder Tageszeit.
Das Internet, das Symbol für Globalisierung, ist das Synonym für Egalitarismus. Jeder darf sich frei äußern, hinter Nicks verstecken und kontroverse Meinungen vertreten. Nicht nur zu gesellschaftspolitischen Themen, auch zu Produkten, Unternehmen. Hier ist die Zielgruppe! Und je jünger die Zielgruppe, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass sie im Netz präsent ist.

An diesem „globalen Dorf“ können weder Marktforscher noch Ethnologen oder Soziologen vorübergehen.

Die Zielgruppen sind facettenreich vertreten, weil jeder hier eine Nische findet. Übersetzt heißt das: hier finden sich neue Stämme zusammen. Radfahrer und Hobbyköche, Heimwerker und Öko-Verfechter diskutieren hier unter sich und auch miteinander. Denn die Zugehörigkeit ist auf ein einen Stamm begrenzt. Das macht die Zielgruppe um so facettenreicher.
Multiple Zugehörigkeiten sind keine Seltenheit und werden hier auch kommuniziert.

… zwangsläufig ins Netz. Hier kommunizieren Sub- und Fankulturen wie Punks oder Star-TrekAnhänger, hier tauschen sich Konsumenten aus.

Die Beobachtung ist technisch gesehen sehr leicht. Die ständige Verfügbarkeit von Daten ist das große Plus. Dennoch erfordert es profunde Kenntnisse und Herangehensweisen, um die Beobachtung sorgfältig durchführen zu können.
Und warum nicht auch Ethnologen zurückgreifen, die versiert in teilnehmender Beobachtung und Ethnographie sind?
Schließlich gehört dies zum Handwerkszeug eines Ethnologen.

Netnografen sollen sich hingegen gezielt in das „natürliche Setting“ begeben – so forderte es Robert V. Kozinets, der „Vater“ der Netnografie: Die Wissenschaftler tauchen in die jeweilige Szene ein, erwerben profundes Wissen über Themen und Gepflogenheiten und kommunizieren mit den Mitgliedern auf Augenhöhe.

Was hat man davon?
Klar, diese Methode erzeugt keine Daten oder Ergebnisse auf Knopfdruck. Das ist aber auch die Stärke der Netnographie. Man muss sich mit der Zielgruppe auseinandersetzen, sie zur Kommunikation anstacheln und sich auch mal „dumm“ stellen und Antworten und Diskussionen provozieren. Trollen im besten Sinn also.

Eine Kultur könne nicht verstehen, wer sich nur auf automatisierte Analysen quantitativer Daten beschränke.

Wer heute Marketing betreibt, geht automatisch davon aus, dass im Budget nicht nur Geld für Flyer oder TV-Werbung drin ist, sondern auch ein Budget für Online-Werbung. Meist überwiegt sogar der Anteil für Online-Werbung. Hier hat die Branche den Schwenk in die Online-Welt schon längst getan. Milliarden werden damit umgesetzt.

Aber Marktforschung?
Marktforschung wird meist quantitativ im Netz gemacht … oder qualitativ mit Tiefeninterviews oder Focusgruppen. Netnographie ist in der Durchführung und der Auswertung für die meisten noch eine Blackbox. Für die Auftraggeber sind qualitative Methoden meist undurchsichtig, sofern man die Auftraggeber nicht direkt und eng an den Prozess beteiligt.
Und das geht auch bei der Netnopraphie! Auch hier kann man die Prozess transparent für den Auftraggeber gestalten und  Akzeptanz gegenüber einer solchen Methode schaffen

Wer nur offline forscht, forscht in der heutigen Zeit an der Zielgruppe vorbei. Denn die Zielgruppe ist schon längst online

Zudem verschwimmen mittlerweile die Grenzen zwischen Online und Offline: Bei genauerem Hinschauen dürfte sich die noch vor wenigen Jahren von vielen Forschern getroffene Unterscheidung zwischen virtueller und realer Welt oder zwischen parasozialen und sozialen Beziehungen als obsolet erweisen. Insbesondere Jugendliche gehen heute nicht mehr bewusst online, sondern stehen ständig (auch) online mit ihrer Peergroup in Verbindung.

Der Artikel von Andrea Kamphuis ist von 2010. Seither hat sich leider nicht viel getan in der Marktforschung im Hinblick auf die Netnographie. Es für immer noch ein Nischendasein.
Wagen Sie doch mal diesen Schritt und holen Sie sich neue Erkenntnisse!

Kontaktieren Sie mich, wenn Sie Fragen haben!